Qualitäts-Mikrokliniken für Slumbewohner
Wenn man in einem Slum lebt, ist medizinische Versorgung in der Regel nicht verfügbar, unerschwinglich und von geringer Qualität. Das Sozialunternehmen „Access Afya“ will das Ruder herumreißen. Das Unternehmen betreibt 15 qualitativ hochwertige Kliniken für medizinische Grundversorgung im Großraum Nairobi und möchte sein Angebot nun mithilfe der Bayer Foundation ausbauen.
Die Organisation
Kenia hat nur 1 % der von der WHO empfohlenen Anzahl von Ärzten. Daher ist der Name „Access Afya“ (Zugang zu Afya) eine klare Botschaft, wie Geschäftsführerin Daphne Ngunjiri erklärt: „Afya ist Suaheli und bedeutet ‚Gesundheit‘, und unser Ziel ist es, den Kenianern den Zugang zu einer zuverlässigen, qualitativ hochwertigen und bezahlbaren medizinischen Grundversorgung zu ermöglichen.“
Access Afya wurde 2012 gegründet und betreibt heute 10 markengeschützte Mikrokliniken in Nairobi sowie 5 Franchise-Kliniken außerhalb der Hauptstadt. Die kostengünstigen Kliniken von Access Afya sind zentrale Anlaufstellen, an denen eine umfassende medizinische Grundversorgung angeboten wird: Die Dienstleistungen umfassen eine Ambulanz, Labordienste, eine Apotheke, Erste Hilfe, Chronikerprogramme sowie Schwangerenvorsorge. Im Rahmen des Social-Franchise-Modells bieten sie darüber hinaus lokalen Unternehmern im Gesundheitswesen die Möglichkeit, eigene Gewerbe zu gründen, indem sie Mikrokliniken einrichten, die an die markengeschützten Originale angelehnt sind. Frau Ngunjiri unterstreicht das Win-Win-Angebot: „Unser Expertenteam aus Ärzten und Gesundheitsmanagern überprüft und überwacht die Einhaltung der Leistungs- und medizinischen Qualitätsstandards unserer Marke durch die Franchisenehmer, während die Franchisenehmer von unseren bewährten Prozessen, unserer Software, unseren Lieferketten und unseren Marketingkonzepten profitieren.“
Scaling Vertrag
Mithilfe der Bayer Foundation möchte Access Afya sein Franchise-Netz nun weiter ausbauen: Die vertraglich vereinbarten 100.000 Euro sollen dafür verwendet werden, die Dienstleistungen von Access Afya in den nächsten zwei Jahren zu erweitern. Dr. Monika Lessl, Geschäftsführerin der Bayer Foundation, erläutert die Beweggründe für die Zusammenarbeit: „Access Afya ist ein Modellprojekt für den Zugang zu Medikamenten in Schwellenländern, und wir wollen ein Antriebsmotor für den Ausbau dieses Projekts sein. Im Rahmen der Kooperation stellen wir Finanzmittel, Know-how und Zugang zu unserem Bayer-Netzwerk zur Verfügung, weil Access Afya genau die Art von Sozialunternehmen ist, nach dem wir suchen: Es ergänzt unser Portfolio und bringt uns unserer Vision ‚Health for all, hunger for none‘ einen Schritt näher.“
90 % Telemedizin
Neben den stationären Mikrokliniken betreibt Access Afya eine der ersten lizenzierten virtuellen Kliniken Kenias: 90 % der Beratungen, Sprechstunden, Diagnosen und Ausstellungen von Rezepten erfolgen über die mobile Arzt-App „mDaktari“. Das Angebot umfasst das Management von Diabetes und Bluthochdruck per Telefon, Teleguidance (Unterstützung über Videoanrufe) für Schwangere, digitale Diagnostik (vom EKG bis zum Ultraschall), virtuelle Schulungen für medizinisches Personal und Partnerschaften mit lokalen Unternehmen, um deren Mitarbeitern Online-Dienste anzubieten. Die Covid-19-Pandemie hat die digitale Revolution der Dienstleistungen von Access Afya sowohl in den stationären als auch in den virtuellen Kliniken vorangetrieben.
Erfahren Sie mehr über Access Afya von der Gründerin und Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Melissa Menke: Im Interview erzählt sie von der Gründung und erklärt, wie Gewinnerzielung und soziale Innovation Hand in Hand gehen können.
Patient
“I deposit cash to my mTOMADY account at a nearby vendor, and my family also sends money to my account. It is quick and easy, and most importantly, I can be sure the money is safe and available when I need to make a healthcare payment.”
"Ich habe eine Chance gesehen" - Interview
34 Prozent der Privatkliniken in Kenia sind inoffiziell oder illegal. Das Sozialunternehmen Access Afya bietet eine alternative hochwertige Gesundheitsversorgung. In einem Interview erläutert Melissa Menke, Gründerin und Vorstandsvorsitzende von Access Afya, wie die Idee entstanden ist und wie soziale Innovationen und Gewinnerzielung Hand in Hand gehen können.
Frau Menke, was motiviert eine junge amerikanische Studentin dazu, ein soziales Gesundheitsunternehmen in Kenia zu gründen?
Als Studentin konzentrierte ich mich auf die Stadtentwicklung. Ich unternahm eine Forschungsreise nach Nairobi, um die sozialen Auswirkungen der rasanten Urbanisierung zu untersuchen. Bei meinen Streifzügen sah ich, wie von inoffiziellen Kliniken minderwertige Gesundheitsversorgung angeboten wurde und unregulierte Geschäfte fragwürdige Medikamente verkauften. Die Leute warfen das wenige Geld, das sie hatten, für Heilmittel hinaus, die nicht halfen. Und als ich mir Statistiken anschaute, stellte ich fest, dass in städtischen Slums mehr Menschen an MINDERWERTIGER Gesundheitsversorgung sterben, als daran dass sie KEINE Gesundheitsversorgung erhalten. Also beschloss ich, ein Programm für eine hochwertige medizinische Grundversorgung ins Leben zu rufen.
Was war Ihr Plan?
Ich wollte keine ehrenamtliche Organisation. Ich sah hier eine Marktchance, eine Chance, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln. Also war mein Plan, ein gewinnorientiertes Sozialunternehmen zu gründen. Die Idee war, für Gemeinden eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, an der man Erste-Hilfe-Maßnahmen, Diagnosen, chirurgische Minimaleingriffe, Rezepte und zugelassene Medikamente erhalten kann. Ich stellte das Konzept einer Gruppe aus verschiedenen wirkungsorientierten Investoren vor, die soziale Unternehmen unterstützen, und mit ihren Geldern konnten wir 2012 unsere Organisation gründen.
Wie verbindet Access Afya das gewinnorientierte Prinzip mit dem Geist der sozialen Innovation?
Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen. Das ist eine großartige Geschäftsstruktur. Man ist damit eine juristische Person, die für Investoren und gleichzeitig für das Wohl der Allgemeinheit verantwortlich ist. Wir orientieren uns bei unseren Entscheidungen sowohl am Shareholder- als auch am Stakeholder-Value. Man beginnt klein und am unteren Ende des Marktes, und wenn das Geschäftsmodell Wertpotenzial hat, kann man langfristig ein leistungsstarkes Unternehmen aufbauen. Wir haben in den letzten neun Jahren gezeigt, dass unser Konzept tragfähig ist und eine Win-Win-Situation schafft.
Was war Ihr bisher größter Erfolg?
Die Einführung unseres Franchise-Netzwerks vor Kurzem. Dies ist der erste Schritt zur Skalierbarkeit: vom Aufbau unserer eigenen Dienstleistungskette für wirkungsvolle medizinische Versorgung dahin, fünf Franchisenehmer zu inspirieren, in unser Programm zu investieren. Unsere Franchisenehmer sind Mediziner und Unternehmer. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt und machen Gewinn. Wir wählen sie sorgfältig über ein bewährtes Verfahren aus, in dem ihre medizinischen Kompetenzen und ihr unternehmerisches Know-how bewertet werden. Dieses Verfahren ist der Grundpfeiler unseres Franchise-Systems, um die Qualität unserer Marke zu schützen.
Hatten Sie Rückschläge zu verzeichnen?
Die meisten Kenianer haben keine Krankenversicherung. Wir wollten dem entgegenwirken, indem wir die Möglichkeit einer Mitgliedschaft zu 1 Dollar pro Monat anboten. Aber die meisten Menschen ziehen es immer noch vor, nur dann zu zahlen, wenn sie unsere Dienstleistungen benötigen. Das war ein Rückschlag, aber wir arbeiten mit Partnern daran, Versicherungen in Kenia zu modernisieren und erschwinglicher zu machen.
Ende 2020 haben Sie eine Scaling Vertrag mit der Bayer Foundation unterzeichnet. Was haben Sie vor?
Derzeit richten wir eine weitere Klinik ein, die zeigen soll, was wir leisten können. Das erweiterte Konzept umfasst ein neues Marketingpaket, das den Franchisenehmern die Einführung des Services in ihren Gemeinden erleichtern wird. Darüber hinaus arbeiten wir mit Hochdruck an der Digitalisierung, sodass innovative digitale Geräte eine Ferndiagnose ermöglichen, wovon alle Franchisenehmer profitieren werden. Ende 2021 werden wir so weit sein, dass wir den Ausbau stark beschleunigen können: auf 20 Kliniken bis 2022 und auf 30 bis 2023.
Am 1. Januar 2021 haben Sie das operative Geschäft an Ihre neue Geschäftsführerin Daphne Ngunjiri übergeben. Ist es Ihnen schwergefallen, zurückzutreten?
Überhaupt nicht. Ich bin sehr stolz darauf, sagen zu können, dass wir jetzt ein rein kenianisches Team haben und uns glücklich schätzen können, Daphne als neue Geschäftsführerin gewonnen zu haben. Sie ist sowohl Ärztin als auch eine Expertin im Gesundheitsmanagement und kennt Access Afya in- und auswendig, da sie bereits als medizinische Leiterin und als Managing Director des Unternehmens tätig war.
Als Vorstandsvorsitzende werden Sie an der Entwicklung der Zukunftsstrategie von Access Afya beteiligt sein. Wie sieht Ihre Zukunftsvision für die Organisation aus?
Meine strategische Vision besteht darin, das Unternehmen zum größten, qualitativ hochwertigsten Franchise-Unternehmen im Gesundheitsbereich in Afrika auszubauen und gleichzeitig die Marke zum Marktführer für digitale Medizin in ressourcenarmen Gemeinden zu machen. Und dann ist da noch meine persönliche Vision: Ich möchte, dass alle Menschen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung erhalten – unabhängig davon, wo sie geboren sind.
Interview: Gabriele Schmitt-Bylandt
Bildnachweise: Access Afya